Stellen Sie sich folgende Situation vor: Ein Mitarbeiter hat sehr viele Überstunden aufgebaut. Aus diesem Grund haben Sie sich mit dem Mitarbeiter zusammengesetzt, um gemeinsam eine gute Lösung zu finden. Sie haben sich auf diesem Weg auf eine Auszahlung der Überstunden geeinigt. So weit, so gut. Nun schätzen Sie diesen Mitarbeiter und seinen Einsatz sehr, haben aber den Eindruck gewonnen, dass er sich effizienter organisieren und priorisieren könnte. Sie vermuten, dass hier eine Ursache künftiger Überstunden liegen könnte. In einem Mitarbeitergespräch thematisieren Sie darum seine Arbeitsplanung und werfen einen Blick zurück auf den vergangenen Arbeitspeak. Ihr Mitarbeiter merkt beiläufig an, dass er mit der Auszahlung wohl zufrieden ist, ihm aber eine Kompensation in Form von freier Zeit lieber gewesen wäre. Diese Bemerkung erwischt Sie auf dem falschem Fuss. Ehe Sie sich versehen, rechtfertigen Sie das Lösungsergebnis, das gemeinsam ausgehandelt wurde. Nach dem Gespräch sind Sie unzufrieden. Was ist passiert?
- Die mehr absichtslose Bemerkung Ihres Mitarbeiters hat Sie getroffen. Das gemeinsame Finden der Lösung war Ihnen wichtig. Sie fühlen sich und Ihr Engagement diffus missverstanden.
- Ihre Irritation löst eine Art Aktionismus aus. Sie beginnen sich zu rechtfertigen und steigern sich sogar ins Appellieren. Damit machen Sie, ohne dass Sie das wollen, die gemeinsam gefundene Lösung zu Ihrer Lösung. Sie verstärken unbeabsichtigt Trennendes, anstatt das Gemeinsame der Lösung und des Weges dahin hervorzuheben. So nehmen Sie den Mitarbeiter heraus aus seiner Verantwortung beim gemeinsamen Finden der Lösung.
- Ihre positive Absicht und Energie, die Sie eigentlich der Unterstützung des Mitarbeiters bei seiner Arbeitsplanung zugutekommen lassen wollten, verpufft. Das Gespräch bekommt eine eigenartige Wendung. Danach sind Sie erschöpft und frustriert.
Wie können Sie eine solche Situation künftig besser handhaben?
Die Lösung liegt im Aushalten der Irritation und ihrer Wirkung, die sie entfaltet. Dies hilft Ihnen, wohldosiert die Bälle zurückzuspielen:
- Halten Sie sich zurück. Pausieren Sie. Sie müssen nicht sofort reagieren. Nehmen Sie sich und Ihre Gefühle bewusst wahr. So können Sie Ihre aufsteigenden Impulse besser beobachten und steuern.
- Ziehen Sie sich nicht vorschnell „den Stiefel Ihres Mitarbeiters“ an. Nehmen Sie dafür seine Bemerkung ernst, indem Sie nachfragen. Das ist ein wichtiges Signal an Ihren Mitarbeiter. Im Fragen liegt der Schlüssel: Fragen helfen beiden Seiten, Gesagtes besser zu verstehen und einzuordnen. Vielleicht haben Sie tatsächlich etwas übersehen? Vielleicht hat die Bemerkung gar nichts mit Ihnen zu tun?
- Fragen verlangsamen und ermöglichen so Nachdenken. Die Frage „wie hättest du das aktuell realisieren wollen?“ könnte dem Mitarbeiter im geschilderten Beispiel die Möglichkeit gegeben, nicht nur zu präzisieren, sondern auch das Ambivalente seiner Aussage selbst zu erkennen. Selbsteinsicht wirkt stärker als ein Appell von aussen. Rechtfertigungen holen Ihr Gegenüber nicht ab.
- Auch Humor hilft. Eine launige Bemerkung wie „ich dachte, wir hatten die Lösung gemeinsam gefunden, war dein Avatar im Gespräch?“ entzerrt. Sie kennen Ihr Gegenüber, Sie wissen, mit welcher Wortwahl Sie ihn oder sie am besten ansprechen. Spontaner Humor nimmt den Druck aus der Situation und unterstützt Sie beide, den Blick wieder nach vorn und auf ihre Handlungsoptionen zu richten.
Fazit: Halten Sie Widersprüchliches aus. Rechtfertigen Sie sich nicht. Appelle erzielen selten Verhaltensänderungen. Im Fragen liegt der Schlüssel zum Weiterkommen. Sie sind die wichtigen Komponenten einer gelingenden Führungsbeziehung.
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